Strategisches Internet Marketing
Sowohl Möglichkeiten als auch Anforderungen an Marketing verändern sich in atemberaubendem Tempo. Anpassungsfähigkeit, Innovationsdenken, Risikobereitschaft und ständige Weiterentwicklung werden zu den wichtigsten Faktoren zählen, will man langfristig erfolgreich sein. Die Strategien dafür wollen gut überlegt sein.
1. Die schlechte Nachricht: Die Situation ist trist
Die interaktiven Medien, allen voran das Internet, stecken nach wie vor in den Kinderschuhen. Viele Unternehmen haben die Möglichkeiten der „neuen“ Medien zwar entdeckt – ohne allerdings ein grundlegendes Verständnis dafür zu entwickeln.
So werden nach wie vor oftmals lediglich bestehende Inhalte eins zu eins auf die Website gestellt, der Begriff „Brochureware“ hat noch immer traurige Gültigkeit. Keine Interaktivität, deplatzierter Technikeinsatz, unlogische Benutzerführung, wenig Personalisierung, keine Dynamik – die einzigartigen Möglichkeiten des Mediums bleiben vielfach ungenützt. Aus einem marketingstrategischen Blickwinkel hat das verschiedene Gründe:
Grund 1: Blinder Aktionismus statt durchdachter Strategie.
Kein Medium – auch nicht das Internet – ist ein Ziel an sich, sondern viel mehr ein Mittel, um (kommunikative) Ziele zu erreichen. Damit sind die Ziele – Was soll eigentlich erreicht werden? – für jedes Projekt von entscheidender Bedeutung, bilden sie doch die Grundlage für alle weiteren Schritte:
Denn wenn man nicht genau weiß, wo man hin will, führt kein Weg zum Ziel. Deshalb sollte man sich nicht vorschnell für ein paar hübsche bunte Bilder entscheiden. Das Medium und die Maßnahmen sollten von der Strategie abhängig sein – nicht umgekehrt.
Grund 2: Fehlendes Verständnis für die neuen Medien.
Auch das Internet ist keine eierlegende Wollmilchsau, sondern hat seine spezifischen Vor- und Nachteile. Doch nach wie vor werden Interaktivität, Dynamik, Personalisierung, globale Reichweite, Nichtlinearität und andere Eigenheiten sträflich missachtet.
Die Unterschiedlichkeit und Vielfältigkeit der einzubindenden Medien, der Herstellungstools, Datenformate und technischen Voraussetzungen werden oftmals ebenso massiv unterschätzt.
Grund 3: Insellösungen und Silo-Denken.
Nach wie vor sind viele Internetauftritte eine reine Insellösung und zu wenig abgestimmt mit anderen kommunikativen Maßnahmen, um so ein einheitliches Gesamtbild des Unternehmens (oder des Produkts) zu vermitteln.
Wichtig ist: Die Botschaft sollte auf verschiedenen Kanälen in unterschiedlichen Situationen von der Zielgruppe wahrgenommen werden. Wie in einem Orchester kommen den verschiedenen Medien so unterschiedliche Rollen zu, und der kommunikative Gesamt-Effekt wird dramatisch verstärkt.
Grund 4: Alte Denkstrukturen für ein neues Medium.
Viele Webprojekte scheitern, weil man althergebrachtes Denken blind auf das neue Medium zu transportieren versucht, ohne die dem Medium eigenen Gesetze zu beachten.
So entstehen Websites, deren Inhalte deckungsgleich mit dem Geschäftsbericht sind oder Online-Banner, die im Grunde nichts anderes querformatige Mini-Print-Anzeigen sind. Medien-Kompetenz sieht anders aus.
2. Konsumenten verändern sich – und Marketing mit ihnen.
Marketing wird sich massiv verändern müssen. Der wichtigste Grund: Die Konsumenten verändern sich – insbesondere, was ihren Umgang mit Werbung und mit Marken betrifft. Ein paar Beispiele gefällig?
Beispiel 1: Konsumenten können Werbung aktiv vermeiden.
TV-Werbung unterbricht Spielfilme, Radiospots das Musikprogramm, Printanzeigen „unterbrechen“ Zeitschriften. Offensichtlich muss Konsumenten die Werbung aufgezwungen werden, damit sie wahrgenommen wird.
Mittlerweile „zappen“ Konsumenten fröhlich durch das TV-Programm, sobald sie einem Werbeblock begegnen, bezahlen hohe Monatsgebühren an TV-Sender wie Sky oder (dem amerikanischen) HBO, die damit werben, werbefrei zu sein. Oder Sie streamen Ihre Filme orts- und zeitunabhängig via Netflix & Co.
Im Internet gibt es (kostenlose) Programme wie den AdBlock Plus, die viele Formen von Werbung auf Wunsch des Besuchers unterdrücken können. Oder Proximotron, das sogar in der Lage ist, ganze Webseiten „on the fly“ (also während sie betrachtet werden) auf Basis Ihrer Präferenzen umzuschreiben: Wenn der Besucher bestimmt, dass er eine bestimmte Mindestschriftgröße oder eine präferierte Hintergrundfarbe haben möchte, dann wird Ihre Website auch so dargestellt. Ohne dass Sie das verhindern können.
Das bedeutet: Gerade im Internet können Sie keinen Konsumenten zwingen, auf Ihre Website zu gehen. Sie müssen ihm etwas bieten, damit er aktiv die Adresse Ihrer Website eingibt oder Ihren Newsletter öffnet.
Es geht um Erlaubnis, nicht Unterbrechung; es geht um Ihre Zielgruppe, nicht um Sie.
Beispiel 2: Konsumenten glauben Ihnen nicht mehr.
Warum sollten sie auch? Schließlich gibt es die Bewertungen auf Amazon & Co. Wie viel Marketing-Dollar Sie auch immer in die Werbung stopfen, Sie werden immer weniger beachtet werden, wenn Konsumenten über solche Informationsquellen verfügen und sich ihr eigenes Urteil bilden.
Denn Mundpropaganda erlebt einen ungeahnten Höhenflug: Auf Websites wie Holidaycheck können Konsumenten ihre persönliche Meinung zu ihren Reisen kundtun – von begeistertem Lob bis zu vernichtender Kritik.
Bewertung Amazon Zahnbürste Wenn Sie jetzt vielleicht glauben, nur High-Involvement-Produkte wie Hi-Fi-Anlagen oder Autos würden solche Reaktionen bekommen, hier ein Vorschlag: Suchen Sie auf Amazon einmal, wie viele Meinungen es zu Zahnbürsten gibt (Spoiler: Es sind Dutzende).
Beispiel 3: Konsumenten verfügen über mehr Information als jemals zuvor.
Dass Omo weißer als weiß wäscht, glaubt heute wohl niemand mehr. Zumal Konsumenten dank der digitalen Medien fast auf Knopfdruck über eine unglaubliche Fülle an Informationen verfügen.
Beispiel Flugreise: Zuerst vergleicht man auf Websites wie www.airlinetickets.de in Sekundenschnelle die Preise von zig Fluggesellschaften, dann informiert man sich auf www.aviation-safety.net über die Sicherheit der Fluglinie, und wenn man hungrig ist, weiß www.airlinemeals.net Rat.
Die Marke ist nicht mehr im direkten Einflussbereich des Brandmanagers.
Früher war der Brandmanager der ungekrönte König über seine Marke. Er bestimmte, wie die Kommunikation aussah, er konnte die Marke „bauen“.
Doch das ist vorbei. Denn heute bauen sich die Konsumenten ihre Marken selber, und der Einflussbereich des Brandmanagers wird massiv beschnitten.
Ein Beispiel: Eine der spektakulärsten Werbekampagnen war die amerikanische „Got milk?“-Kampagne, die eine Reihe von bekannten Persönlichkeiten (von Pete Sampras bis zu Naomi Campell) mit einem Milchschnurrbart zeigte. Eine großartige Kampagne. Bis Konsumenten mit www.milksucks.com und der Bannerkampagne einer übergreifenden Anti-Milch-Liga konfrontiert wurden, die als Gegenpol zur Got-Milk-Kampagne ein weinendes Baby mit Milchschnurrbart zeigte, übertitelt mit der Frage: „Got sick kids?
Weder Unternehmen noch ihre Agenturen besitzen bzw. kontrollieren Marken oder Kommunikation. Das tun heute die Konsumenten.
Ein weiteres Beispiel: Es gibt www.theforce.net, eine inoffizielle Fansite zu der Star-Wars-Manie, die mit 50.000 täglichen Besuchern und über 9.000 Seiten wesentlich größer (und oft auch aktueller!) als die offizielle Site von Lucas-Films ist.
Auf diesen Seiten werden Marken (auch) gebildet, ob das den Brandmanagern nun gefällt oder nicht. Es wird Zeit, sich darauf einzustellen.
3. Die gute Nachricht: Es gibt geniale neue Möglichkeiten!
Neben all den Nachteilen und Gefahren haben die „neuen“ Medien einen riesigen Vorteil: Sie bieten ungeahnte neue, spannende Möglichkeiten für Marketing und Unternehmens-Kommunikation – insbesondere wenn es darum geht, innovative Wege zu finden, um einen Mehrwert für seine Zielgruppe zu schaffen und einen Dialog aufzubauen.
Ein Beispiel ist Thea Online: Auf der Website der Küchenmargarine gibt es (unter anderem) einen mächtigen Speiseplaner, der Rezeptvorschläge auf Basis der persönlichen Präferenzen des Besuchers macht – samt Zutatenliste und Kochanleitung.
Durchdachte Websites wie diese sind immer noch rar. Doch das Beispiel zeigt, dass man mit vertretbarem Aufwand einen direkten Mehrwert für seine Kunden schaffen und damit einen deutlichen Konkurrenzvorteil gegenüber seinen Mitbewerbern erzielen kann.
4. Ein kleiner Blick in die Zukunft
Auch morgen noch werden grundlegende Markt- und Marketinggesetze selbstverständlich ihre Gültigkeit behalten. Aber dennoch wird sich vieles verändern. Im Kampf um das knappste Gut der Zukunft – (Online-) Aufmerksamkeit – wird Marketing als Disziplin eine fundamentale Neuorientierung erleben.
Ehrlichkeit, Transparenz, persönliche Ansprache und Kundenorientierung sind im Begriff, das Mantra einer neuen Generation von zielgruppen-gerichteten „Consumer-Managern“ zu werden, die den rein marken-orientierten Brand-Manager ablösen.
Dynamische Kundenprofile lösen das Konzept der statischen Zielgruppen ab, aus Zielgruppen werden Zielpersonen. Denn Kundenbeziehungen erwirbt man nicht, man verdient sie.
Internetauftritte von morgen werden sich damit massiv von der vorhergehenden Generation unterscheiden. Denn sie:
- respektieren die Charakteristika des Internets und benutzen somit erstmals wirklich die Vorteile dieses Mediums,
- stellen den User und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt aller Überlegungen und probieren nicht, alles für jeden zu sein,
- haben nicht nur Content, sondern Content und Context und Services (das heißt relevante Inhalte im richtigen Umfeld – mit dazu passenden Diensten, die Mehrwerte schaffen),
- wissen, dass ständige Innovation und neue Dienste die wichtigsten Unterscheidungskriterien sein werden,
- sind niemals fertig!
Das zu erreichen ist nicht immer einfach, denn ein massives Umdenken ist gefordert – und Professionalität, Durchhaltevermögen sowie das Fundament einer durchdachten und schlagkräftigen Strategie werden zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren zählen.